A las malditas, malditas, malditas fronteras
To the damned, damned, damned borders
Juan Carlos Rubio

Foto: © Tomas Castelazo / CC BY-SA 4.0
Von Sandra Schmidbauer
ARIZONA – Ein amerikanischer Bundesstaat
Der US-amerikanische Bundestaat betitelt die erste Eigenproduktion der Spielzeit 2019/20 im Theater in Kempten. Der Grand Canyon State – wie Arizona auch genannt wird – verzeichnet knapp über 7 Millionen Einwohner, seine Hauptstadt ist die 1,6-Millionen Einwohnerstadt Phoenix. Im gesamten Süden grenzt Arizona an Mexiko. Ansonsten ist die Grenze innerstaatlich.
Wer eine Region beschreibt, beginnt häufig mit einer harmlos gemeinten Beschreibung der Geografie – zumindest macht Wikipedia das meistens. Die Geografie einer Stadt, einer Region, eines Landes, dient uns Menschen wunderbar als erste Orientierung, sie ist eine Möglichkeit zur Einordnung und wir Menschen ordnen ja bekanntlich sehr gerne erstmal ein.
Doch denken wir beim Bundesstaat ARIZONA nicht unweigerlich sofort an Trump und seine „Mauer“? Sofort verliert der Satz „Im gesamten Süden grenzt Arizona an Mexiko“ seinen harmlosen, erklärenden Klang und stattdessen erscheinen Bilder von Flüchtlingsströmen und von Kindern, die gewaltsam von ihren Familien getrennt werden vor dem inneren Auge.
Grenzanlagen – früher und heute
In seinem Buch „Alles könnte anders sein. Eine Gesellschaftsutopie für freie Menschen“ schreibt Harald Welzer, Sozialpsychologe, Direktor der Futurzwei-Stiftung, Mitbegründer der Initiative „Die offene Gesellschaft“ und Professor für Transformationsdesign:
„Nichts kommt einem Menschen des 21. Jahrhunderts normaler vor, als dass es Grenzen gibt, die nationale Territorien definieren und die Übergänge von Personen von einem Territorium zum anderen regulieren. Dabei wird unterschieden, ob es um Einheimische, Angehörige eines gemeinsamen Grenzregimes („Schengenraum“) oder um visapflichtige Personen geht, oder gar um die Lieblingsgruppe eines Heimatministers: Menschen, die gar nicht einreisen dürfen. […] Und kaum jemand weiß heute noch, dass die Grenze zur Markierung eines Territoriums in der Regel nicht älter ist als der Nationalstaat, also eine historisch junge Erfindung. Historische Grenzanlagen wie der Limes, der römische Grenzwall, dienten der Erhebung von Zöllen und Steuern, waren aber nicht von der Vorstellung beseelt, Menschen vom Übertritt von einem Gebiet in ein anderes abzuhalten.“ [1]
Die modernen Grenzanlagen hingegen tun genau das: Sie halten Menschen vom Übertritt in ein Gebiet ab – Deutschland weiß das nur zu gut – und Grenzanlagen haben derzeit quasi „Hochkonjunktur“. So veröffentlicht FAZ.net 2014 den Beitrag „Mauern, überall“ und zählt Beispiele von Grenzanlagen weltweit auf. Es ist nur ein Auszug, aus den weltweit errichteten Grenzbefestigungen und doch ist es eine beeindruckende Liste, die zeigt, wie viel Geld und Manpower in den Bau von Mauern und Grenzbefestigungen gesteckt werden. Die darin genannten Zahlen – gemessen in „Tonnen von Beton“, „Meter an Stacheldraht“, „Anzahl von Minen, Wärmebildkameras, Soldaten“, uvm. – lassen einen erahnen, welche Bedeutung Mauern in unserer heutigen Gesellschaft haben. Hier ein paar Beispiele daraus [2]:
- Seit dem ersten Indisch-Pakistanischen Krieg (1947-1949) ist Kaschmir durch die „Line of Control“ geteilt. Entlang der 740 Kilometer langen Grenze zwischen dem indischen und pakistanischen Teil von Kaschmir erstreckt sich ein bis zu drei Meter hoher Grenzzaun. Die 550 Kilometer lange Grenzanlage besteht aus meterhohen Stacheldrahtzäunen. Teile stehen unter Strom, sind mit Bewegungssensoren, Wärmebildkameras und Stolperdrähten ausgerüstet. An einigen Stellen sind Minen vergraben. Anfang 2014 gaben die indischen Grenzbehörden bekannt, dass sie die Anlage weiter ausbauen wollen. Ein 40 Meter breiter und 10 Meter tiefer Graben soll dazukommen.
- Die indische Regierung begann 1989 mit dem Bau der Grenzanlage „Null-Linie“. Es ist die längste Grenzbefestigung der Welt: Mit 4000 Kilometern Stacheldraht grenzt sich Indien von Bangladesch ab. Die „Null-Linie“ ist ein bis zu zwei Meter hoher, mit Stolperdraht gesicherter Schutzwall. Teile des Zauns lassen sich unter Strom setzen. Schätzungen zufolge bewachen etwa 50.000 Soldaten die Grenzanlage.

Foto: By Nicor – Own work, CC BY-SA 3.0
- Süd- und Nordkorea – „Demilitarisierte Zone“: An der 248 Kilometer langen Grenze zwischen Nord- und Südkorea verläuft ein hochgerüsteter Zaun, gesichert mit Stacheldraht, Wachtürmen, Scheinwerfern und mehr als einer Millionen Minen. Panzersperranlagen, Schützengräben und Hochspannungszäune bilden zusätzliche Barrieren. Sie gilt als die am stärksten befestigte und bewachte Grenze der Welt. Zu beiden Seiten der Grenzanlage befindet sich eine jeweils zwei Kilometer breite „demilitarisierte Zone“. Das Betreten dieser Zone ist untersagt.
- Israel und Gaza – „Sperranlage um den Gazastreifen“: Im Süden Israels verläuft eine 52 Kilometer lange Sperranlage, die den gesamten Gazastreifen bis zur ägyptischen Grenze umschließt. Sie ist lückenlos und kann nur an wenigen Kontrollpunkten passiert werden. Auf palästinischer Seite befindet sich eine bis zu 300 Meter breite Sicherheitszone, die nicht betreten werden darf. Trotz Grenzanlagen und Bewachung gelingt es den Palästinensern immer wieder, Waffen und andere Güter durch ein selbstgegrabenes Tunnelsystem in den Gazastreifen zu bringen.
- Marokko und Westsahara – „Berm“: Durch die Westsahara zieht sich ein über 2700 Kilometer langer mit Steinen befestigter Sandwall, der die Region in zwei Hälften teilt. Im Arabischen wird der Sandwall „Berm“ genannt. Bis zu drei Meter ist er hoch, gesichert mit Stacheldraht, Gräben und Minen. An einigen Stellen besteht er aus einer Steinmauer. Teilweise dienen auch Berge als Hindernis. Über die gesamte Grenze verteilen sich Wachposten. Insgesamt sind dort mehr als 150.000 marokkanische Soldaten stationiert.
Die Berliner Mauer
Zurück nach Deutschland: Vor etwas mehr als 30 Jahren, am 12. Juni 1987, wandte sich der amerikanische Präsident Ronald Reagan in seiner Rede am Brandenburger Tor in (West-)Berlin direkt an den Generalsekretär des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (KPdSU) und rief: „Herr Gorbatschow, reißen Sie diese Mauer nieder!” Wenige Jahre später fiel die Berliner Mauer tatsächlich, und zusammen mit ihr verschwanden auch etliche andere Grenzbefestigungen zwischen Ost und West in Europa von der Bildfläche. [3]
„Während die Berliner begannen, sich der Mauer so schnell wie möglich zu entledigen, gab es außerhalb Deutschlands ein großes Interesse an den Resten der Mauer. Ungezählte der tonnenschweren Betonplatten, mit denen West-Berlin eingemauert worden war, fanden auf unterschiedlichen Wegen einen neuen Standort. Sie sind heute auf allen Kontinenten zu finden, wo sie als geschichtsträchtige Erinnerungsstücke, als Siegestrophäen, als Freiheitssymbole oder auch als Kunstobjekte an die überwundene Teilung der Welt und den Kampf für Freiheit und Demokratie erinnern.“ [4]

„We’re gonna make them pay for that wall“
27 Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer bewarb sich ein Mann um das Amt des US-Präsidenten mit dem besonders in den Südstaaten der Vereinigten Staaten populären Versprechen, die Grenze zu Mexiko gewaltig auszubauen und durchgehend zu befestigen. In seiner Wahlrede am 31. August 2016 in Phoenix, Arizona, sagte Präsidentschaftskandidat Donald Trump:
„Wir werden eine große Mauer entlang unserer südlichen Grenze bauen. Und Mexiko wird sie bezahlen. Hundertprozentig! Vom ersten Tag meiner Präsidentschaft an werden wir eine unangreifbare, große, mächtige und schöne Mauer bauen, mit der bestmöglichen Überwachungstechnologie, mit Sensoren oberhalb und unterhalb des Bodens, um auch Tunnel zu entdecken und kriminelle Banden fernzuhalten.” [5]
Über Trumps Mauer können wir nahezu täglich in der Zeitung lesen, wie beispielsweise über die Anfang September vom US-Verteidigungsministerium genehmigten weiteren 3,6 Milliarden Dollar zum Ausbau der Mauer – das entspricht einer Länge von 280km. [6]
ARIZONA von Juan Carlos Rubio im Theater in Kempten
In ARIZONA von Juan Carlos Rubio, der ersten Eigenproduktion des T:K in der Spielzeit 2019/20, koproduziert mit dem Theater Hof, begleiten wir zwei Menschen, die als Teil der amerikanischen Minute-Man-Bürgerwehr-Bewegung beschließen, die Grenze zu den „Nachbarn aus dem Süden“ zu bewachen. Der Stückautor Juan Carlos Rubio schreibt:
„Arizona ist nicht weit weg. Arizona ist hier, in jeder unserer Städte, an jeder Mauer, die errichtet wird, um Menschen ein besseres Leben zu verwehren.“
Sein Stück stellt Fragen nach Ethik und Solidarität und macht auf die menschliche Tragödie und die fremdenfeindliche Politik und Propaganda der Großmächte aufmerksam. Lassen Sie uns gemeinsam über Mauern nachdenken – über die sichtbaren, sowie die unsichtbaren.
Es ist – leider wieder – an der Zeit!

10. Oktober 2019, 20 Uhr, in der Theaterwerkstatt. Foto: Nicole Schönmetzer
Harald Welzer findet ebenfalls passende Worte zur Absurdität von Mauern heutzutage:
„Wenn man heute die immer hartnäckiger und wütender verteidigten Grenzregime betrachtet und zugleich sieht, dass sich weder radioaktiver Fallout noch CO2-Emissionen noch Viren noch internationale Finanztransfers noch Rohstoffbörsen und damit die Chancen auf Ernährung an nationalstaatliche Grenzen halten, dann merkt man, wie anachronistisch, ja geradezu aus der Zeit gefallen topgraphische Grenzen sind. Man könnte sogar vermuten, dass die Bedeutung, die ihnen von autokratischen Politikern und nostalgischen Menschenfeinden von rechts und links zugeschrieben wird, desto stärker wird, je schwächer und durchlässiger sie de facto im 21. Jahrhundert werden. Die Grenze und ihre Verteidigung braucht es gerade in der Ära der Globalisierung nicht mehr, was ja keineswegs heißt, dass man Zugehörigkeiten […] nicht bestimmen könnte oder sollte.“
Es ist also an der Zeit zu rufen „Wipp, wipp, hurra“. Warum?

“Steel can divide or it can bring people together. Same material, different outcomes.”
Ein transnationales Kunstprojekt an der Südgrenze der USA zeigt kindgerecht und für jederman*frau verständlich: Was man auf der einen Seite tut, hat Folgen auf der anderen Seite – die Menschheit ist verbunden, das kann man nicht mehr rückgängig machen. Die grenzüberschreitende Wippe zwischen den USA und Mexiko, so schreibt Zeit online, „berührt erst das Herz und danach das Hirn“ und geht binnen kurzer Zeit viral.
Also: „Wipp, wipp, hurra“. [7]
To the damned damned damned borders.
[1] Quelle: Welzer, Harald; „Alles könnte anders sein. Eine Gesellschaftsutopie für freie Menschen“; S. Fischer Verlag; Februar 2019; Seite 149]
[2] Quelle: FAZ net; Mauern, überall; https://www.faz.net/aktuell/politik/25-jahre-deutsche-einheit/mauern-dieser-welt-13179669.html; veröffentlicht: 04.11.2014]
[3] Quelle: Bundeszentrale für Politische Bildung; von Bredow, Wilfried; Mauern und Zäune: Zur Renaissance von Sicherungsanlagen an Staatsgrenzen; https://www.bpb.de/gesellschaft/migration/kurzdossiers/269158/mauern-und-zaeune; veröffentlicht: 14.5.2018]
[4] Quelle: Kaminsky, Anna; „Die Berliner Mauer weltweit“; Berlin Story Verlag; 2014]
[5] Quelle: Bundeszentrale für Politische Bildung; von Bredow, Wilfried; Mauern und Zäune: Zur Renaissance von Sicherungsanlagen an Staatsgrenzen; https://www.bpb.de/gesellschaft/migration/kurzdossiers/269158/mauern-und-zaeune; veröffentlicht: 14.5.2018]
[6] Quelle: Zeit.de; https://www.zeit.de/politik/ausland/2019-09/mexiko-usa-mauer-grenze-pentagon-milliarden-verteidigungsministerium; veröffentlicht: 4.9.2019]
[7] Quelle: Zeit.de; https://www.sueddeutsche.de/kultur/usa-mexiko-wippe-1.4547259; 31.7.2019]