Komm Ins Offene

Austerlitz ist ein Buch, das den Leser lange begleitet

Der aus dem Allgäu stammende Autor W. G. Sebald und sein Roman AUSTERLITZ.

Betrachtungen zur T:K-Lesung von Hans Piesbergen

Lesen Sie gerne längere Romane? Lesen Sie sie auch gerne zweimal?

Oder ist Ihnen das eigentlich zu viel, zu anstrengend, zu zeitaufwändig?

Egal – Sie sollten sich (vielleicht im Urlaub?) für W.G. Sebalds Roman AUSTERLITZ Zeit nehmen, es lohnt sich wirklich!

Und einen ersten Vorgeschmack können Sie (kostenlos) am 5. Juli bei der T:K-Lesung zur Mittagszeit in der Buchhandlung Lesezeichen bekommen.

AUSTERLITZ von W. G. Sebald

Nur wenige Romane entwickeln so eine Vielfalt und Vielschichtigkeit der Themen, die aber schlussendlich doch alle zusammen führen. Beim ersten Lesen hat sich mir das noch gar nicht vollständig erschlossen, aber als ich dann im Wissen um den Verlauf der Erzählung noch einmal hineingelesen habe, wurde die Komplexität dieses literarischen Gewebes auf einmal sehr klar. Dabei fasziniert mich vor allem der scheinbare Dokumentarstil, dem eine ungeheure Poesie und eine immense sprachliche Vielfalt und Präzision innewohnt.

Jaques Austerlitz heißt der rätselhafte Fremde, den der Erzähler Ende der Sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts in einer dunklen Bahnhofshalle kennen lernt. Schritt für Schritt enthüllt sich die Lebensgeschichte dieses schwermütigen Wanderers. Austerlitz, der seit vielen Jahren in London lebt, ist kein Engländer. Bei Ausbruch des Zweiten Weltkrieges kam er als jüdisches Flüchtlingskind nach Wales und wuchs bei einem Prediger und seiner Frau auf. Erst nach Jahren erfährt er, dass er ein Pflegekind ist – und verdrängt es ein Leben lang. Es dauert es ein halbes Leben, bis er sich auf die Suche nach seiner wahren Herkunft macht. So begreift er, weshalb er sich als Fremder unter Menschen fühlt – ein Entwurzelter, der keine Heimat mehr finden kann.

Der Tod – ein ständiger Begleiter

Es ist ein Roman über unseren Begriff „Zeit“, jenen Begriff, den es nur in unserer menschlichen Vorstellungswelt gibt,  um unsere eigene Endlichkeit irgendwie fassen und einordnen zu können:

„Nur indem wir uns an den von der Zeit vorgeschrieben Ablauf halten, vermögen wir die riesigen Räume zu durcheilen, die uns von einander trennen.“

Es ist auch ein Roman über Deutschland – obwohl die Geschichte in Belgien, Großbritannien, Frankreich und Tschechien spielt. Deutschland wird nur rasch mit dem Zug passiert. Hitler und sein mörderisches System spielen natürlich eine wesentliche Rolle, aber auch die Akribie und Pedanterie, mit denen wir alle Menschliches, Emotionales, auch Beschämendes von uns wegrücken, verdinglichen, entemotionalisieren.

Auf der anderen Seite sind dann da die langen Naturbetrachtungen über die Schönheit der Nachtfalter oder der Gestirne. Und alles findet seine Kulmination in der Beschreibung der Deportation von Austerlitz’ Mutter nach Theresienstadt.

Der erzählerische Kunstgriff von W. G. Sebald

Durch den – wie es in der Rezension der Tageszeitung DIE WELT heißt – „erzählerischen Kunstgriff, die Geschichte nicht geradlinig zu entwickeln“, entsteht eine schöne vorsichtige, respektvolle Distanz zum Unaussprechlichen, Unvorstellbaren : dem Chronisten wird von Austerlitz erzählt, was er von der engsten Freundin seiner Mutter, seiner Kinderfrau, berichtet bekam, wie die Mutter nach Theresienstadt deportiert wurde.

Archäologische Schichten

Am Ende stehen dann die Fundamente des mächtigen modernen Neubaus der Französischen Nationalbibliothek auf den Überresten jener Depots, in denen in den Vierziger Jahren das von den Nazis requirierte jüdische Eigentum gehortet wurde.

Wie gesagt, einen ersten kleinen Einblick in die literarische Welt Sebalds können Sie am 5. Juli von 12:30-13:00 bei der T:K-Lesung in der Buchhandlung Lesezeichen bekommen. Und im März 2020 bringt das T:K dann die Uraufführung von W. G. Sebalds Erzählungen DIE AUSGEWANDERTEN, zu denen wir Ihnen gerne auch einen Artikel aus der Wochenzeitung DIE ZEIT empfehlen.