Unsere Spieler:innen waren Geister

Liebe Theaterfreund:innen,

Eine Zeit lang sah es in dieser Saison so aus, als müssten wir das Theater schließen.
„Unsere Spieler waren Geister“ – so schien es uns – und alles schien sich aufzulösen in dünne Luft, in „dünne, dünne Luft“, wie es bei Shakespeare heißt.
Der Schreck saß tief.
Und er hat die diesjährige Fotostrecke im Jahrbuch inspiriert.

Oberbürgermeister Kiechle, die Kulturbeauftragte der Stadt Kempten, Annette Felberbaum, die Geschäftsführung des Theaters und eine Unterschriftenaktion des Ensembles für den Erhalt des Theaters, die über 8.500 Unterstützer:innen hatte, konnten schließlich die Schließung verhindern und eine Finanzierung sichern.
Dafür möchte ich mich noch einmal bei allen Unterstützer:innen von Herzen bedanken.
Wir durften erleben: Das Theater in Kempten ist in der Mitte der Stadtgesellschaft angekommen und wird von vielen Kemptener:innen wertgeschätzt.
Es ist ein Ort der Unterhaltung und des Dialoges, an dem man abschalten und den Alltag vergessen und zu einer tieferen Betrachtung des Lebens gelangen kann.
Doch nicht nur das – eine Studie der Ludwig-Maximilian-Universität München im Jahr 2024 am Theater Regensburg kommt zu dem Ergebnis: „Das Theater ist ein Treiber für die Wirtschaft vor Ort. Für jeden Euro, den die Stadt in das Theater investiert, hat sie einen „Return of Invest“ von 1,60 Euro.“ 
Ähnliches lässt sich sicher auch für das Theater in Kempten sagen, das inzwischen nicht nur Einheimische, sondern auch Tourist:innen anlockt.

Auch wenn die Theater nicht zu den verpflichtenden Aufgaben der Kommunen gehören, so sind sie wichtig, um gemeinsam über die drängenden Fragen der Zeit nachzudenken – in der vergangenen Saison waren das vor allem Krieg, soziale Ungerechtigkeit und die Begegnung unterschiedlicher Kulturen und Traditionen.
Die in der vergangenen Saison noch einmal gestiegenen Zuschauerzahlen sind ein eindrucksvoller Beweis dafür. 
Das Theater in Kempten feiert mit 53.000 Karten in der Saison 24 / 25 einen neuen Rekord.
Wir haben noch einmal 3.000 Karten mehr verkauft als im Vorjahr.

An diesen Erfolg werden wir allerdings in der Saison 25 / 26 nicht mehr anschließen können.
Denn die Sparmaßnahmen der Stadt Kempten zwingen uns zu einer radikalen Verkleinerung des Angebots. 
Und so werden wir nur noch 40.000 Karten im Angebot haben.
Eine Reihe von geliebten Stücken kann nicht wieder aufgenommen werden.
Und auch bei den Neuproduktionen müssen wir uns beschränken.

Dennoch haben wir versucht, einen attraktiven und interessanten Spielplan für Sie zusammenzustellen.
Sie sehen eine ganze Reihe von außergewöhnlichen Schauspielproduktionen, darunter zwei Uraufführungen.
Thematisch dreht sich alles um das Thema LIEBE. 
Den Saisonauftakt macht ROMEO UND JULIA von William Shakespeare. Hier geht es um eine junge Liebe in einer Stadt, die in zwei Parteien gespalten ist.
Dann folgt MUTTERS COURAGE, eine Liebeserklärung des Schriftstellers George Tabori an seine Mutter, die in seinem Theaterstück die Deportation nach Ausschwitz überlebt.
In PETERCHENS MONDFAHRT, unserem diesjährigen Weihnachtsmärchen, geht es um Tierliebe, konkret die Tierliebe von Kindern zu einem Maikäfer.
Nur wer noch nie ein Tier gequält hat, kann Herrn Sumsemann wirklich helfen.
Zum ersten Mal gibt es am 31.12.25 eine Silvesterpremiere im Theater in Kempten. In HEILIGER BIMBAM! DER GLÖCKNER. geht es anarchisch, komisch und deftig um die platonische, aber nicht weniger starke Liebe zwischen zwei Außenseitern – zwischen Quasimodo, dem hörbehinderten Glöckner von Notre Dame, und Esmeralda, einer Sinti und Roma.
MIA, unser diesjähriges Klassenzimmerstück handelt ebenfalls von einer Sinti und Roma und wird getragen von einer starken Geschwisterliebe. Eine junge Frau sucht ihre Schwester, die verschwunden ist. Vermutlich ist sie Opfer eines Loverboys geworden. Das Stück stellt eindrücklich dar, wie schutzbedürftig junge Frauen in der Migration und in gesellschaftlichen Randgruppen sind und erzählt eine Geschichte, die leider viel zu oft Realität ist: Die Geschichte von Menschenhandel.
In JOHAN VOM PO geht es um die Liebe zu einem anderen Kontinent – ein Europäer entdeckt Amerika – doch sein anfänglich verachtender kolonialer Blick verändert sich im Laufe der Zeit. Wer sind hier die „Wilden“ und wer die „Zivilisierten“?
IT’S BRITNEY, BITCH!, ein Theaterstück mit Musik über die Sängerin Britney Spears, erzählt von der großen Sehnsucht geliebt zu werden und von der rücksichtslosen Ausbeutung dieser Sehnsucht durch die eigene Familie, die Medien und die Öffentlichkeit.
Und schließlich zeigen wir mit WILLEMERS STUNDE ein Ehepaar, das in eine Ehekrise gerät, weil die Ehefrau sich in Johann Wolfgang von Goethe verliebt – und in seine außerordentliche Fähigkeit Gefühle in Worte zu kleiden. Was hat der Ehemann hier entgegenzusetzen?

Angesichts der immer noch und immer weiter um uns herumtobenden Kriege möchte ich schließen mit einem Zitat des palästinensischen Dichters Mahmoud Darwisch:
„Frieden ist, wenn ein Junge vom Blick einer Frau durchbohrt wird und nicht von einer Kugel.“
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen und uns allen eine liebevolle Spielzeit und freue mich auf Ihr Kommen.

Ihre
Silvia Armbruster